Die diagnostischen Methoden der chinesischen Medizin

20140123-121554.jpg Wenn ein neuer Patient meine Naturheilpraxis betritt, muss er – anders als bei Vertretern der westlichen Schulmedizin – Zeit mitbringen. Und damit ist nicht die Zeit im Wartezimmer gemeint, sondern die Zeit für die Erstanamnese. Also für eine Art Rundum-Erkundung des Patienten.

Außer einer ausführlichen Befragung, die sich natürlich um das aktuelle Befinden als auch um Vorerkrankungen, Allergien, Schlaf- und Essverhalten sowie vieles mehr dreht, sind zwei wesentliche Methoden die Zungen- und die Pulsdiagnose: Die Zunge als ein Organ mit vielen Aufgaben hilft uns in erster Linie beim Sprechen und Schmecken. Sie unterscheidet zwischen: süß, salzig, sauer, scharf und bitter sowie zwischen heiß und kalt; und ist mit dem Gehirn und den inneren Organen verbunden. Nach Auffassung der chinesischen Medizin sind die Organe auf der Zunge abgebildet und Disharmonien für den geschulten TCM-Therapeuten schnell sichtbar.

Eine gesunde Zunge ist blassrosa, leicht feucht und hat einen weißlichen dünnen Belag. Für die Diagnose sind die Größe, das Aussehen der Oberfläche, die Beweglichkeit und die an der Unterseite der Zunge befindlichen Venen interessant. So deutet ein dicker weißer Belag z. B. auf eine Erkältung hin; eine trockene Zunge mit eingerissenen Mundwinkeln, könnte auf eine Diabetes mellitus hinweisen. Zahneindrücke können das Zeichen einer gestörten Leberfunktion oder auf eine Schwäche der Milz sein. Die Unterzungenvene gibt Hinweis auf auf eine Herzinsuffizienz oder aber die bevorstehende Menstruation. Ist die Zunge trocken, kann es ein Zeichen für zu wenig Flüssigkeitszufuhr sein. Und sehe ich einen gelben oder braunen Belag, so ist wohl Hitze im Körper zu finden.

Ein Abschaben der Zunge, wie es in den letzten Jahren zunehmend propagiert wird, kann die wertvollen Papillen verletzen und damit das Schmecken negativ beeinträchtigen. Ebenso kann es dadurch zu schmerzhaften Entzündungen kommen.

Bei der Pulsdiagnose taste ich die Pulse beider Handgelenke. Dabei werden pro Arm sechs verschiedene Pulse getastet. Jeder dieser Pulse ist einem Organsystem zugeordnet. Der normale Puls ist abhängig von Statur, Geschlecht, Jahreszeit und einigem mehr. Er sollte ruhig und gleichmäßig und deutlich spürbar sein.

Ein oberflächlicher Puls, der bei leichtem Tasten deutlicher als bei stärkerem Druck ist, deutet auf ein Leere-Syndrom hin. Ein tiefer Puls hingegen auf ein Fülle-Syndrom. Ist der Puls sehr langsam, kann es sich um eingedrungene Kälte handeln; ist er sehr schnell, um Hitze, wie zum Beispiel bei Fieber. Sind alle Pulse schwach. kann es sich um eine Blut-Schwäche handeln. Und wenn der Puls schlüpfrig ist, also die Pulswelle unter dem Finger wegrutscht, handelt es sich meist um Schleim.

Sowohl Zungen- als auch Pulsdiagnose geben natürlich noch einige Hinweise mehr. Außerdem: der Geruch, die Bewegungen, der Blick und viele weitere Komponenten runden das Patientenbild ab. Die Diagnostik in der chinesischen Medizin ist folglich sehr umfangreich. Als Behandlerin versuche ich, den Patienten in der Gesamtheit seiner körperlich-geistig-seelischen Struktur wahrzunehmen und zu erfassen – und nicht nur die oberflächlich zutage tretende Symptomatik. Symptome erachtet die chinesische Medizin gewissermaßen als „Spitze des Eisbergs“ – meist sind sie nur der äußere Auswuchs, die äußere Wahrnehmbarkeit einer Störung der inneren Befindlichkeit. Also einer Störung der inneren, an und für sich harmonischen Wechselbeziehungen des Körper-Seele-Geist-Systems Mensch.