Spezieller Stress bei Videokommunikation

people on a video call
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In der Corona-Pandemie scheint sich ein zusätzliches neues Krankheitsbild entwickelt zu haben: Die „Zoom Fatigue“ bezieht sich laut einer Studie der Stanford University in den USA auf die spezifische Müdigkeit bei Video-Konferenzen, die die persönliche Anwesenheit im Firmenbüro oder Meetings ersetzt haben. Dabei soll es vier Faktoren geben, die eine Rolle spielen – aber auch entsprechende Gegenmittel.

Video-Kommunikation ist nicht wirklich neu, Apples „Facetime“ und Microsofts „Skype“ existieren schon seit Jahren – bildliche Echtzeit-Kommunikation in beide Richtungen war vor hundert Jahren noch Zukunftsmusik in Science Fiction-Romanen.

„Zoom Fatigue“ wird zum Schlagwort

Im Zuge der Corona-Pandemie sitzen aber nunmehr massenweise Menschen tagtäglich vor Bildschirmen. Zoom etwa, als bekannteste Plattform, hatte noch im Dezember 2019 zehn Millionen Nutzer, fünf Monate später waren es bereits 300 Millionen.

All diese Menschen starren die großen oder kleinen Porträtbilder ihrer Kommunikationspartner an. Und fühlen sich mehr und mehr erschöpft – der Begriff dafür lautet mittlerweile „Zoom Fatigue“. Das erscheint zunächst einmal seltsam: Können doch viele von der Vertrautheit und Geborgenheit der eigenen Wohnung aus arbeiten als kürze oder längere Distanzen mit Auto, Bus und Bahn oder Flugzeug bewältigen zu müssen.

Videobilder suggerieren unangenehme Nähe

Doch in Stanford will man herausgefunden haben, dass Video-Kommunikation ihre eigenen Herausforderungen hat. Eine liegt etwa darin, über lange Stunden nahen Augen-Kontakt zu haben – was die Stress-Reaktion des Körpers auslöst. In normalen Meetings besteht immer die Möglichkeit, dass die Augen durch den Raum wandern oder sich auf den Notizblock, ein Flip-Chart, ein Bild an der Wand o.ä. richten. Bei Videokonferenzen starrt jeder jeden aus der unmittelbaren Nähe des Monitors vor der eigenen Nasenspitze an.

Mehr noch: Die vielen einzelnen Videobilder vermitteln dem Gehirn den Eindruck, vor einer großen Menschenmenge zu stehen – alle Augen richten sich auf einen; auch wenn man selbst gar nicht spricht oder einen Vortrag hält. Im realen Raum alle Anwesenden, dass nicht alle jeden gleichzeitig anvisieren können. Bei Videokonferenzen geht diese Distanz verloren – dies löst mehr sozialen Stress aus.

Mehr Abstand hilft

Auch sorgt Nähe und Größe der Videofenster mit Köpfen in Porträtgröße dafür, dass das die Empfangssensoren des Menschen die anderen als Eindringlinge in den Intimbereich wahrnehmen. Der Intimbereich, innerhalb dessen Menschen nur vertraute, nahestehende Personen als angenehm und erträglich empfinden, umfasst etwa 60 Zentimeter. Kein Wunder, dass der Körper typische Stressreaktionen auslöst, wenn bei Zoom-Sitzungen wenig bekannte Menschen aus unmittelbarer Nähe entgegenschauen.

Abhilfe besteht folglich darin, die Größe der einzelnen Videofenster zu reduzieren und weiter von ihnen wegzurücken. Kurzum: mehr Abstand herstellen – als würde man im echten Leben eine aufdringliche Person zurückweisen. Auch möglich: Nicht die Laptop-eigene Kamera benutzen, sondern eine externe in größerer Entfernung aufzubauen.

Video führt zu mehr kognitiver Last

Weitere Studien kommen zu der verblüffenden Empfehlung, zur bloßen Audio-Kommunikation zu wechseln. Also, einfach: zu telefonieren. Video erhöht die kognitive Last, weil es mehr nonverbale visuelle Signale enthält, die vom Gehirn wahrgenommen, entschlüsselt und verarbeitet werden müssen. Vor allem, wenn sie als bedrohend oder gefährdend wahrgenommen werden.

Daher, so eine Empfehlung, solle man sich sogar eine Weile von Computer und Monitor abwenden. Und besonders das Videobild mit dem eigenen Antlitz abschalten, wenn möglich. Man stelle sich vor, wie es auf einen selbst wirken würde, wenn man bei jedem Schritt in Arbeit oder Alltag einen Spiegel vor der Nase hätte: Ständige Selbst-Einschätzung und -Überprüfung wäre die Folge („Sitzt meine Frisur richtig“? „Warum bekomme ich gerade eben rote Flecken im Gesicht?“ „Mache ich einen guten Eindruck?“ „Wirke ich überzeugend?“) – mit häufig negativen für das eigene Selbst-Bild.

Audiokommunikation ist stressfreier

Tatsächlich schätzen manche Forscher den „Flucht“-Modus, der bei der reinen Audio-Kommunikation möglich ist, als entspannend und wohltuend ein: Man kann selbst nicht gesehen werden, daher das Gesicht mal zur Grimasse verziehen oder sich kratzen, mit den Augen oder gar dem ganzen Körper durch den Raum wandern und sogar kleine Aufgaben nebenbei vollziehen, wie etwa Geschirr einzuräumen oder eine Suppe auf dem Herd umrühren. Und interessanterweise kommt einem selten der Gedanke, dass es dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung auch so gehen könnte.

Mit Hilfe von Hypnose- oder Trance-Sitzungen kann man lernen, sich einerseits auf die Inhalte der aktuellen Kommunikation zu fokussieren – und andererseits einen mentalen Entspannungszustand herzustellen.  Manche Untersuchungen legen sogar nahe, dass sich zu bewegen bei kognitiver Aufmerksamkeit hilft: Wer kennt es nicht, beim angestrengt Denken oder bei einer Präsentation im Raum auf und ab zu gehen? Das ist natürlich bei Zoom-Konferenzen nicht möglich – doch andererseits ist zu erwarten, dass Video-Kommunikation sich mit der Pandemie dauerhaft etabliert hat und bleiben wird.