Stress und wie man damit umgeht – da hilft im Alltag in Beruf und Familie Achtsamkeit in Form des MBSR-Programms.
Stress ist ursprünglich ein Begriff aus der Werkstoffkunde und wurde später in die Psychologie übernommen. Stress im Job oder Verlust des Arbeitsplatzes, Beziehung gescheitert oder Ärger mit dem Nachwuchs, eine lebensbedrohliche Krankheit – das kann jede und jeden treffen. Manche Menschen zerbrechen an Schicksalsschlägen, werden drogen-, alkohol- oder medikamentenabhängig, verfallen in Burn-out und Depression. Andere haben stärkere Ressourcen, um Krisen zu überstehen: Diese innere Widerstandskraft nennt man in der Psychologie „Resilienz“ – und sie ist ebenso wie physische Fitness trainierbar.
Das Wort „Resilienz“ stammt wie „Stress“ aus der Werkstoffkunde. Resilient ist, was sich unter einer Belastung zwar verformt, aber nach dieser Belastung seine ursprüngliche Form wieder annimmt. Im Kontext asiatischer Philosophie kann man den Bambus als resilient bezeichnen – er ist sowohl hart wie biegsam und er biegt sich im Sturm, bricht aber nicht.
Eine hohere Resilienz bei Menschen bedeutet analog zum Bambus eigentlich ein starkes inneres Immunsystem – manchmal schwächelt der Organismus unterm dem Ansturm feindlicher Eindringlinge, aber er kommt wieder auf die Beine und zeigt sich letztlich gestärkt. Die eigene Resilienz zu fördern, hat also etwas mit präventivem Training zu tun, gerade bei Depression und „Burn-Out“: Man sollte die Ressourcenstärkung schon und gerade bei leichten Beschwerden vornehmen, um damit der Verschlimmerung vorzubeugen.
Die Gene verschaffen dabei durchaus eine günstige oder ungünstige Ausgangsposition in Sachen Resilienz – das Trainieren von Resilienz ist aber mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger. Zu diesem Training gehören Ernährung, Sport & Bewegung – diese zielen zwar in erster Linie auf den Körper, helfen aber auch dabei, das psychische Immunsystem zu stärken. Dazu sollte man zur Ressourcenstärkung auch intensiver auf der geistig-seelischen Seite aktiv werden.
Prävention spielt eine große Rolle: Wessen Kräfte schon vor einer Krise schwach sind, der strauchelt in der Krise eher. Häufig wird man zwar nach und durch die Krise stärker – aber nur dann, wenn man sie gut überstanden hat. Insofern ist eine prophylaktische Stärkung wichtig, etwa durch achtsamkeitsbasierte Verfahren. Das bekannteste und klinisch evaluierteste ist die „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ (Mindfulness Based Stress Reduction, kurz MBSR).
Mit Achtsamkeit gegen den Autopiloten
Was ist MBSR? Da gibt es die klassische Definition von MBSR-Begründer Jon Kabat-Zinn, einem Universitäts-Wissenschaftler – „paying attention on purpose, in the present moment, and nonjudgmentally, to the unfolding of experience moment to moment.“ Lexikalisch wird häufig so etwas wie „sich einer Sache bewusst und gewahr sein“ genannt. Aufmerksamkeit ist ein Teil von Achtsamkeit, aber nicht dasselbe. Achtsamkeit bedeutet vollständig wach und bewusst zu sein, nicht zu schlafen, zu dösen, in Traumwelten zu schwelgen oder zu phantasieren. Achtsamkeit ist die Fähigkeit bzw. entwickelt die Fähigkeit, die Dinge um uns herum gleichermaßen wie die Dinge in uns zu betrachten – bzw. ihre Wechselwirkung. Wir lernen unsere eigenen mentalen Muster zu erkennen. Und das gibt uns die Möglichkeit, aus unserem konditionierten Autopilot-Modus auszusteigen und eine Wahl bzw. eine Entscheidung zu treffen.
Egal ob spirituell oder religiös veranlagter Mensch oder Atheist, Geschäftsmann, Sportler oder Soldat – Achtsamkeit kultiviert die Gleichmut gegenüber den Unsicherheiten des Lebens und den ständigen Wechseln und Änderungen. Die moderne Hirnforschung („Neuroscience“) zeigt mit Gehirn-Scans, dass die Achtsamkeits-Praxis nachweisliche Änderungen in den Regionen hervorruft, die mit Fokus und Emotionskontrolle in Verbindung gebracht werden. Gehirn- und Verhaltensstrukturen lassen sich ändern – Hirnforscher sprechen hierbei von Neuroplastizität – und dabei wirksam sind eben Meditation und andere Achtsamkeits-Übungen.
MBSR ist aber kein Schnellkleber, keine Instant-Lösung. Stress ist vorhanden, und im normalen Leben wird er immer existieren. Ein MBSR-Achtwochenkurs ist ein Basis-Training für eine lebenslange Beschäftigung: gerade dann dran zu bleiben, wenn man sich schwer damit tut – Achtsamkeit hat also mehr Gemeinsamkeiten mit einem langfristigen Fitnesstraining als mit einer Knie-Operation oder einer Antibiotikagabe.
Der Begriff „Achtsamkeit“ und auch Achtsamkeits-Meditation wird mittlerweile vielerorten benutzt, und manche Interpretationen sind sehr individuell. Der MBSR-Achtwochenkurs allerdings hat eine strenge und eindeutige Definition, und einen ebenso strengen und eindeutigen Programmablauf; und er darf nur durch das Bostoner Center for Mindfulness (CFM) an der Medizinischen Fakultät der Universität Massachusetts qualifizierten und zertifzierten MBSR-Lehrer abgehalten werden (dazu zähle ich).
Weiterführende Informationen zu MBSR
MBSR ist mittlerweile als anerkanntes Verfahren im Mainstream angekommen, und daher haben auch weitere maßgebliche Publikationen sich mit dem Thema befasst, so etwa:
STERN: Anleitung zum Glücklichsein