Chinesische Medizin ist nicht so traditionell

Chi Schriftzeichen

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Nach der Auffassung der chinesischen Medizin steht der Mensch aufrecht zwischen Himmel und Erde und gilt als gesund, wenn das Zang Fu-Organsystem reibungslos funktioniert, der Shen (spiritueller Geist) und das Qi (Lebensenergie) in ausreichendem Maße vorhanden sind und frei fließen können. Das bedeutet: Wenn eines dieser Systeme in eine Dysbalance kommt, wird der Mensch krank.

Chinesische Medizin in ihrer Struktur, wie sie von alters her besteht, sieht den Menschen und den Kosmos als Ganzes und bewertet tatsächlich bestehende Symptome anders als die so genannte Traditionelle Chinesische Medizin (TCM), die in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts daraus entstand, um möglichst kompatibel mit der Schulmedizin des Westens zu sein.

Reformwerk TCM

Damit ist die hierzulande bekannte TCM ein Reformwerk, das sozusagen emotionale und spirituelle Aspekte des Menschen unterschlägt und vielmehr auf die Behandlung der Organsysteme setzt. Die Leitbahnen aber sind die Verbindung zwischen Psyche und Soma, Und fast alle Erkrankungen haben einen auch einen Aspekt in der Psyche.

Der Mensch ist außerdem von den Urkräften des Yin und Yang abhängig. Man mag darüber lächeln, aber in unserem Lebensrhythmus sind wir sozusagen alle auf Yang gebürstet: Arbeit, Sport, etwas bewegen, nach außen gehen, sich engagieren, aktiv sein, Familie, Lernen, teilweise bis spät in die Nacht wach bleiben, Kaffee, Alkohol, Drogen, laute hektische Musik – das alles ist Yang. Ruhe, Abstand, Abschalten, Entspannung, in sich ruhen kommen dabei häufig zu kurz.

„Drei Meilen am Bein“

Der ruhelose Patient kommt mit Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche oder gar Burn-out in unsere Praxis. Vielleicht leidet er zusätzlich unter Verstopfung, Nervosität, Magenbeschwerden oder zu hohem Blutdruck. Die symptombezogene Anschauungsweise gemäß TCM behandelt nun die Schlafstörungen, den Magen und den Darm; die ganzheitliche chinesische Medizin hingegen versucht Yin und Yang zu harmonisieren, den Shen zu stärken und den freien Fluss des Qi zu fördern – ihre Behandlung setzt an der Wurzel an..

Ich möchte das kurz an einem Beispiel erläutern: Ein von mir häufig eingesetzter Punkt am Bein ist “Magen 36” (auch “Drei Meilen am Bein” genannt). Dieser Punkt gibt Stabilität, zentriert und ist wichtig bei allem, was mit Ernährung zu tun hat. Der psychische Aspekt dieses Punktes ist zu beruhigen (er trägt auch den Beinamen “Göttlicher Gleichmut”). Dieser Punkt behandelt den Bauchbereich, kann aber auch Lethargie und Depressionen behandeln, indem die Yang-Energie geweckt wird. Der Name „Drei Meilen am Bein“ deutet darauf hin, dass er jemanden wieder in Gang setzen kann – körperlich, mental und spirituell (n der chinesischen wie japanischen Sprache etwa wird kein Unterschied zwischen “Geist”, “Seele” und “Herz” vorgenommen).

Leben und Luxus

Seit geraumer Zeit kann man in vielen Medien und Publikationen Artikel über Achtsamkeit, Meditation und andere Wege sich selbst oder seine Mitte zu finden lesen: Wir stellen fest, dass wir nicht mehr nur die Symptome behandeln, sondern weit tiefer gehen müssen. Unser Leben und der Luxus, in dem wir leben, verlangt uns eine Menge ab. Viele Patienten beginnen, sich wieder auf die eigentliche Werte zu besinnen – und auf sich selbst. Wir stellen fest, dass die Behandlung der Symptome zwar richtig und wichtig ist, aber oft nur eine Teillösung des Problems darstellt. Behandeln wir aber ganzheitlich und beziehen die kosmischen Kräfte und alle psychischen Aspekte mit ein, beginnt Heilung in einer tieferen und weitreichenderen Art.