Stress: Emotionen und Gesundheit

Stress ist ein Symptomkomplex, der sowohl den psychischen als auch den physischen Zustand umfasst. Unter Stress verstehen wir Druck, Belastung, Zwang, aber auch Bedrohung. Stress wird besonders dann empfunden, wenn es keine Möglichkeit zur evolutionsbiologisch vorgesehenen Kampf- oder Fluchtreaktion gibt, sondern man sich dem stress-erzeugenden Zustand hilflos ausgeliefert sieht. In der chinesischen Medizin wird Stress als pathogener, also krankmachender Faktor bezeichnet, der sowohl von außen als auch von innen kommen kann.

Was ist es, das uns an die Grenze unserer Belastbarkeit bringt, uns so stark unter Druck setzt? An die erste Stelle ist dabei – als innere pathogene Faktoren – unsere Lebensweise (Arbeit, Familie, Geld…) zu sehen. Immer höhere Anforderungen in der Arbeitswelt, immer schnellere Abwicklung von Aufgaben, und Multitasking, wo immer wir uns befinden. An zweiter Stelle stehen äußere pathogene Faktoren auf der Liste, wie zum Beispiel Umweltverschmutzung, Ernährung – oder in extrem Fällen: Hungersnöte, Naturkatastrophen, Reaktorunfälle. In der westlichen Psychologie spricht man dabei von subjektiven und objektiven Stressoren.

Als weitere Faktoren müssen auch die genetische Disposition sowie alle in der Kindheit erworbenen emotionalen Verletzungen bzw. Sozialisation gesehen werden.

Der Druck, dem wir uns ausgesetzt sehen und das, was wir wirklich wollen, steht sehr oft nicht im Einklang. Unsere Kollegen oder Freunde bringen uns vielleicht dazu etwas zu tun, was wir nicht wollen. Dadurch entsteht ein Druck von außen – wenn man sich dem nicht widersetzen kann, kommt es obendrein zu einem Druck von innen. Die Stimmung ändert sich und je stärker ich unter Druck gerate, oder je öfter von mir Dinge verlangt werden, die ich nicht tun will oder die meiner Auffassung zuwider laufen, desto verbissener, aggressiver oder trauriger werde ich.

Der Körper versucht sich den Gegebenheiten anzupassen, häufig verlieren wir dabei unsere Lockerheit. Die Ausgeglichenheit und damit der freie Fluss von Yin und Yang oder von Qi und Blut wird gestört – was früher oder später zu den verschiedenen Symptomen führen kann. Bei dauerhaftem Stress wird häufig das Leber-Qi angegriffen. Damit wird die Produktion des Gallensaftes und die Funktion von Milz und Magen negativ beeinflusst. Es kommt zu Verdauungsbeschwerden und damit verbunden zu Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit. Der Patient seufzt häufig, hat ein Druckgefühl im Bauchbereich, Durchfall oder Verstopfungen.

Ist die Leberenergie über längere Zeit gestaut, kann es zu Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Migräne, Schwindel, Tinnitus oder Wutausbrüchen kommen. Häufig klagt der Patient über Schlafstörungen, Verdauungsstörungen, Appetitlosigkeit, Unruhe, Depressionen, Ängste und eine Vielzahl anderer Beschwerden. Überall ist etwas nicht in Ordnung, aber so richtig krank fühlt er sich nicht. Gegen die Ängste und Depressionen werden in der Schulmedizin häufig Psychopharmaka, Schlafmittel und Stimmungsaufheller eingesetzt.

In der chinesischen Medizin versuchen wir die Ursache zu finden und dort anzusetzen. Meist liegt das Problem vor allem im emotionalen Bereich: Der innere Kampf gegen den äußeren Druck. So heißt es im Liuzi, Kap. 1: „Wenn der Geist friedlich ist, ist das Herz in Harmonie; wenn das Herz in Harmonie ist, ist der Körper ganz; wenn der Geist gereizt wird, schwankt das Herz, und wenn das Herz schwankt, wird der Geist verletzt. Wenn man daher den physischen Körper heilen möchte, muss man zuerst den Geist regulieren…“

Das bedeutet, dass Körper und Geist nicht voneinander trennbar sind – und wenn die eine Partei erkrankt, die andere nicht gesund bleiben kann.