Grundhaltungen der Achtsamkeitspraxis leben

MBSR-Evaluation
MBSR-Evaluation

Achtsamkeit nach dem MBSR-Programm ist ein seit 30 Jahren erprobtes und wissenschaftlich evaluiertes Verfahren, mit dem unvermeidlichen Stress und Schmerz im Leben besser umgehen zu lernen. Entwickelt wurde das „Mindfulness-Based-Stress-Reduction“-Training von Jon Kabat-Zinn, einem Verhaltensmediziner und Molekularbiologen. Das Verfahren vereint Ansätze aus Hirnforschung und Neurowissenschaft, Psychologie und Pädagogik genauso wie traditionelle meditative und kontemplative Techniken aus verschiedenen Kulturkreisen.

In Achtwochenkursen lernen die Teilnehmer mit Hilfe eines straffen Curriculums, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Aus der Exoten-Ecke ist MBSR längst herausgetreten. Schon lange üben etwa in den USA Mitarbeiter von Firmen wie Google und Apple sich in den Elementen des Programms. Nach den acht Wochen klagen viele Teilnehmer weniger über psychosomatische Symptome; selbst sehr kranke Menschen können mit MBSR lernen, wieder neue Kraft zu schöpfen.

Die Achtsamkeitspraxis des Alltags wird von Grundhaltungen bestimmt, eine ist der Anfängergeist: Oft sind wir nicht in der Lage, uns unvoreingenommen auf etwas einzulassen, weil uns unsere eigenen Erfahrungen im Wege stehen. Unser Gehirn checkt bei allem was wir erleben zunächst ab, ob das Erlebte bereits bekannt ist. Sobald es Ähnlichkeiten zu entdecken glaubt, werden die früher gemachten Erfahrungen auf die neue Situation im Hier und Jetzt projiziert. In weitgehender Ignoranz dessen, was im jeweiligen Moment tatsächlich präsent ist, wird uns auf diese Weise leicht ein „Kenn‘-ich-schon“- „Hatt‘-ich-schon“-„War-ich-schon-überall“ vorgegaukelt. Im Anfängergeist lassen wir uns vorurteilsfrei auf Personen, Dinge und Situationen ein, als erlebten wir sie zum ersten Mal.

Damit verbunden ist eine nicht-wertende Haltung. Diese Qualität wird entwickelt, indem man die Haltung eines unparteilichen Beobachters einnimmt. Man beobachtet mit Abstand die Neigung, innere Erfahrungen zu kategorisieren und blitzschnell in Schubladen von „angenehm“ oder „unangenehm“ verschwinden zu lassen -und/oder automatisch-unbewusst darauf zu reagieren. Der Lohn des Übens besteht darin, sich nicht mehr mit den Geschehnissen zu identifizieren und stattdessen mehr Objektivität, Situationsangemessenheit und Selbstbestimmtheit ins eigene Handeln zu bringen.

Eine geduldige, gelassene innere Haltung erkennt an, dass alles im Leben seine Zeit hat und dass sich alles entfaltet, wenn der richtige Moment dafür gekommen ist. In unserer täglichen Praxis bedeutet Gelassensein, nicht sofort reaktiv auf alles anzuspringen, was uns begegnet, sondern innere Ruhe und Ausgeglichenheit zu kultivieren. „Nicht-Streben“ ist eine weitere Grundhaltung: Auch wenn wir das Ziel haben, gelassener und ruhiger zu werden, geht es darum, in der Meditation selbst absichtslos zu sein und die Dinge so anzuerkennen, wie sie gerade sind. Woanders hingelangen zu wollen, trägt uns davon in eine imaginäre Zukunft – und damit verlieren wir den einzigen Zeitpunkt, in dem wir wirklich etwas tun können: den gegenwärtigen Moment.

Nicht-Anhaften ist der Bruder von Nicht-Streben, denn unser Geist unterliegt der Angewohnheit sich an manchen Dingen festzuklammern und andere Dinge um jeden Preis zu vermeiden. Loslassen meint nicht wegwerfen. Es bedeutet, festgefahrene, verhärtete Ansichten, Denkmuster und Verhaltensweisen zu erkennen (und anzuerkennen) und ihnen keine weitere Bedeutung zuzumessen. Stattdessen wird der Geist freigehalten für die urteilsfreie, ungetrübte Wahrnehmung des inneren und äußeren Geschehens im gegenwärtigen Moment.

Dort zu beginnen wo wir sind, bedeutet zum Beispiel Verlust, Krankheit, Übergewicht oder eine schwierige Lebenssituation anzuerkennen, wie sie ist. Anerkennen bedeutet nicht zwangsweise „gut finden“. Es bedeutet, einem schmerzhaften Status quo nicht noch zusätzlich inneren Widerstand entgegenzusetzen. In der Haltung des Anerkennens hören wir auf, uns gegen das Sosein der Dinge aufzulehnen.